Das Schlaraffenland der Wünsche

Im Traum ging ich durch einen Wald. Zwischen großen Baumwurzeln schien ein seltsames Licht. Ich ging dorthin und sah, dass es aus einem Erdloch kam, welches von gewaltigen Baumwurzeln umgeben war. Als ich in das Erdloch hineinsah, erblickte ich eine seltsame Miniwelt, die in diesem merkwürdigen Licht eingetaucht war. Gleich hinter dem Erdloch war eine Wiese und auf ihr waren putzige Tierchen, die genüsslich an etwas herum knabberten. In der Ferne befand sich ein Schloss, von dem anscheinend dieses künstliche, plastisch-magische Licht ausging.

Diese Mini-Parallelwelt faszinierte mich. Ich wollte gern dorthin, aber war natürlich viel zu groß, um durch das Erdloch zu gelangen. Die Tiere, die mich bemerkt hatten, zeigten mit ihrer Pfote auf eine Pforte, die zwischen den Wurzeln versteckt war. An dieser Pforte, die wie ein geschlossenes Minitor aussah, war eine Klingel an einer langen Leine befestigt. Ich zog an der Leine und befand mich augenblicklich in passender Größe in der Miniwelt. Es war alles sehr schön, die Landschaft in schönen, kräftigen Farben und alles eingetaucht in diesem wunderbaren Licht.

Ich ging zum Schloss, dass ich auch schon durch das Erdloch gesehen hatte und wurde freundlich empfangen. Es war ein prachtvolles Schloss. Innen war alles aus weißem Marmor mit goldenen Verzierungen. Der Boden war spiegelblank und reflektierte die fürstliche Pracht in seinem Glanz. Überall waren Gemälde in leuchtend bunten Farben.

Im Schloss fand gerade ein Fest statt. Es waren die verschiedensten Menschen in allen erdenklichen Bekleidungen anwesend. Sie unterhielten sich in kleinen Gruppen. Einige kamen auf mich zu und begrüßten mich freundlich.

Im Saal nebenan standen lange Tische mit den verschiedensten Speisen. Sie sahen köstlich aus. Alle Bediensteten lächelten freundlich, luden zum Essen ein. Ich aß nichts, sondern beobachtete nur, was geschah und bestaunte das wundervolle Schloss.

Dann war das Fest vorbei und alle sollten den Festsaal verlassen, was die anderen auch ohne zögern taten. Wohin sie gingen, weiß ich nicht, denn ich ging ihnen nicht nach, sondern war neugierig, was jetzt im Saal passieren wird. Eine innere Stimme fragte, welchen Wunsch ich denn hätte. Mir fiel nichts ein, also rührte ich mich nicht von der Stelle. So sah ich, wie eine Kolonne von seelenlosen Menschen durch das Schloss ging. Sie waren irgendwie verkrüppelt und hatten einen leeren Blick. Mechanisch räumten sie den ganzen Müll weg. Eine zweite Kolonne seelenloser Menschen folgte. Sie machten alles wieder blitzblank sauber und perfekt schön. Ich spürte, dass es den unsichtbaren Gastgebern peinlich war, dass ich das sah. Aber sie konnten es nicht ändern, da ich keinen Wunsch hatte, mit dem sie mich hätten weglocken können.

Es wurde Abend und ich bekam von ihnen ein riesiges Apartment zum Übernachten, welches mit viel Technik ausgerüstet war (technische Spielzeuge zum Ablenken). Da war ein riesiger Computer mit einem Bildschirm, der über eine ganze Wand reichte. In Regalen an den anderen Wänden waren unzählige Bücher und in der Mitte des Zimmers stand ein Pult mit verschiedenen Tasten, die nur mit A, B oder C (in verschiedenen Farben) beschrieben waren. Man musste also erst herausfinden, was die Tasten bewirken. Ich drückte Taste A. Ein Drucker fing an, etwas auszudrucken. Es war ein Willkommensgruß, der jedoch sehr wissenschaftlich formuliert war (Datensprache). Ich entnahm dem Schreiben einige Namen von Gastgebern und Verantwortlichen. Sie begrüßten mich herzlich und versicherten mir, dass sie jederzeit meine Wünsche erfüllen würden, egal, was ich mir wünsche. Aber ich hatte keinen Wunsch also ging ich wohl schlafen.

Szenenwechsel: Ein neuer Tag begann (es war wieder hell). Da ich noch immer keinen konkreten Wunsch hatte, schlenderte ich durch den Schlosspark und beobachtete, was in dieser Welt geschah.

Ich sah Kinder, wie sie von einem Wunsch zum nächsten drängten. Sie konnten einfach nie genug bekommen. Ein paar Mädchen sagten: „Schneller! Noch mehr!“, ohne dass sie die Erfüllung eines Wunsches genossen. Sobald ein Wunsch erfüllt war, wollten sie etwas neues. Es war offenbar das Schlaraffenland der Wünsche. Man bekam sofort alles, was man wollte, man brauchte es sich nur zu wünschen. Da ich selbst nicht im Wunschrausch war, sah ich immer nach einer Wunscherfüllung eine Rechnung aufleuchten, in der der Preis für die Wunscherfüllung festgehalten wurde. Die Kinder sahen diese Rechnung nicht, sie dachten, sie bekämen alles geschenkt.

Der Preis für die Wunscherfüllung war nichts Materielles, die Gastgeber wollten kein Geld, sondern sie zogen jedes Mal einen entsprechenden Seelenanteil ab, also eine Erinnerung oder soziale Werte, wie Freundschaftsgefühle, Empathie, etwas vom Gewissen, von der Fantasie oder so etwas in der Art. So wuchs im Innern der Kinder eine Leere. Sie wurden immer frustrierter, je mehr Wünsche sie erfüllt bekamen, wussten jedoch nicht warum. Wurde ein Wunsch erfüllt, konnte es niemand mehr wirklich genießen, weil keine wirkliche Freude mehr empfunden werden konnte. Darum wünschten sie sich gleich noch mehr, noch Größeres, Außergewöhnlicheres, nach dem Motto: „Wenn ich das erfüllt bekommen habe, bin ich endlich glücklich!“ Das Glücksgefühl bei Erfüllung des Wunsches währte nur kurz, dann war der Frust wieder da und jedes Mal größer, weil die innere Leere zunahm (da sie einen weiteren Seelenanteil verloren hatten). Eine Folge war, dass sich die Kinder ständig stritten. Niemand gönnte dem anderen etwas, obwohl sie sich ja selbst alles wünschen konnten, was sie wollten.

Irgendwann waren die Kinder innerlich so leer, dass sie seelisch zusammenbrachen. Sie wurden wie die Menschen in der Kolonne, welche den Festsaal aufräumten. Sie hatten dann diese seelenlosen Augen und waren völlig willenlos. Sie taten dann nur noch stumpfsinnig alles, was die unsichtbaren Gastgeber ihnen befahlen. Sie räumten den Dreck weg, der bei den Wunscherfüllungen entstand, arbeiteten unsichtbar dafür, dass die Gäste in dieser Welt ihre Wünsche erfüllt bekommen usw.

Die Kinder sahen nicht, dass die Zuschauer seelenlose Wesen waren, die alles auf Kommando taten, was ihnen befohlen wurde, weil sie sich nur für sich selbst interessierten. Sie hörten das begeisterte Klatschen und Trampeln, aber es war ihnen egal, wer da anscheinend begeistert war. Sie sahen nicht die leeren Augen derer, die da klatschten usw.

Szenenwechsel: Ich war Gast in einer Familie. Eine Frau hatte den Auftrag, mich zu versorgen und meine Wünsche zu erfüllen. Sie reichte mir Orangensaft. Als ich ein paar Schluck nahm, merkte ich, dass mein Bewusstsein umnebelt wird. Ich vermutete, dass etwas in dem Saft ist, das mein Urteilsvermögen beeinträchtigen sollte. Sie wusch gerade ab und ich sagte, dass sie damit aufhören soll, weil ich den Orangensaft in das Abwaschwasser schütten wollte. Ich wollte testen, ob in dem Orangensaft Chemikalien sind, die mit dem Abwaschwasser reagieren. Sie behinderte mich nicht. Als ich es gerade tun wollte, erhielt ich eine Botschaft von den Gastgebern (in Gedanken), dass ich meinen Freund in Cottbus besuchen kann. (Warum Cottbus, weiß ich nicht, ich war noch nie da.)

Als die Nachricht kam, war ich ein 12jähriger Junge und freute mich, denn ich wollte schon immer mal wieder nach „Cottbus“ und meinen Freund wiedersehen. Augenblicklich wurde dieser Wunsch erfüllt und wir (mein 12jähriger Freund und ich) freuten uns, dass wir zusammen sind und dass ich auch seine Geschwister (ein etwa 14jähriges Mädchen und ein etwa 5jähriger Bruder) wiedersah.

Dann war ich wieder der Beobachter und sah, wie sich die beiden Freunde Pferde wünschten. Sie bekamen große Reitpferde, das Mädchen nur ein Pony und der Kleine fuhr auf einem Dreirad. Ich erfuhr intuitiv: Je größer eine Freundschaft, umso wertvoller die „Wunscherfüllung“. Das hörte sich zunächst positiv an (die Jungen waren stolz darauf, dass sie große Pferde bekamen, während die Schwester auf einem Pony ritt). Der Hintergedanke war, dass bei starken emotionalen Bindungen, wie einer Freundschaft, mehr Aufwand betrieben werden musste, um sie zu zerstören. (Je größer die Wunscherfüllung, umso höher der Preis, also der Seelenanteil, den sie abzogen.) Wieder sah ich die Rechnungen kurz sichtbar werden. Niemand sonst beachtete sie. Kein Kind fragte, ob es für das, was es bekam, etwas geben musste. Es war selbstverständlich, dass ihre Wünsche erfüllt wurden. (Ich fragte gleich zu Anfang, als ich das Schloss betrat und Speisen angeboten bekam, was das kostet. Deshalb sah ich die Rechnungen. Für diejenigen, die davon ausgingen, das alles Geschenke sind, waren die Rechnungen unsichtbar. Und das waren alle, die mir in dieser Welt begegneten.)

Die Kinder bemerkten ihre Veränderung nicht. Sie stritten sich zunehmend wegen Kleinigkeiten, wurden immer zickiger, frustrierter, gaben aber immer den anderen die Schuld.

Ihre innere Leere nahmen sie nicht wahr, jedoch die Auswirkungen: Sie fühlten sich unverstanden, nicht genügend beachtet (dass ihnen die anderen egal waren, registrierten sie nicht), benachteiligt, obwohl sie alles bekamen, was sie sich wünschten, frustriert.

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